Tschick
Wolfgang Herrndorf
"Die Welt ist schlecht, und der Mensch ist auch schlecht. Trau keinem,
geh nicht mit Fremden und so weiter. Das hatten mir meine Eltern
erzählt, das hatten mir meine Lehrer erzählt, und das Fernsehen erzählte
es auch. Wenn man Nachrichten kuckte: Der Mensch ist schlecht. Wenn man
Spiegel TV kuckte: Der Mensch ist schlecht. Und vielleicht stimmte das
ja auch, und der Mensch war zu 99 Prozent schlecht. Aber das Seltsame
war, dass Tschick und ich auf unserer Reise fast ausschließlich dem
einen Prozent begegneten, das nicht schlecht war."
Tschick,
eigentlich Andrej Tschichatschow, ist hochbegabt, bettelarm und
asozial. Er kommt aus einem der Asi-Hochhäuser in Hellersdorf, hat es
von der Förderschule irgendwie bis aufs Gymnasium geschafft und wirkt
doch nicht gerade wie das Musterbeispiel der Integration. Er ist der
Neue in der Schulklasse von Maik Klingenberg. Maik ist ein Langweiler,
der abwechslungsweise als "Psycho" gilt und aus wohlstandsverwahrlosten
Verhältnissen kommt - der Vater scheitert als Immobilieninvestor, die
Mutter muss immer wieder in eine Klinik zum Alkoholentzug. Er ist der
zweite Außenseiter in dieser Geschichte. Und das ist im Allgemeinen auch
schon der Plot: zwei Figuren mit unterschiedlichen
Sozialisationsbedingungen, die die großen Ferien miteinander verbringen
werden.
Die
beiden sind die Einzigen der pubertierenden Schulklasse, die nicht zum
14. Geburtstag der schönen Tatjana eingeladen sind. Das heißt
zusammengefasst, dass Tschick und Maik nicht die Möglichkeit bekommen am
größten Highlight vor den Sommerferien teilzunehmen. Macht nichts, denn
dafür drehen sie ein anderes Ding. Maik wird mit einer größeren
Geldsumme allein in der elterlichen Villa zurückgelassen, Tschick klaut
einen schrottreifen Lada, und damit, mit dem Geld und
dem Auto, brechen die beiden kaum Fünfzehnjährigen zu einer Fahrt ins Blaue auf.
Die
zwei Grünschnäbel fahren ohne genaues Ziel - zu einem Onkel in der
Walachei, querfeldein, landen auf Mülldeponien, in den Mondlandschaften
der Braunkohlenutzung, mitten in Feldern, in Bergen, bei Seen, in
namenlosen Gebieten, bauen gefährliche Unfälle. Sie erleben die Natur
mit ihren Farbwechseln, Gewittern, Nächten, Regen und Sonne. Und sie
begegnen Menschen, die so schräg und überraschend sind wie die
Landschaften, durch die sie kommen und immer mit ihnen die Gefahr, als
Kinder erkannt zu werden.
Tschick
ist ein rührender Abenteuerroman aus dem rätselhaften deutschen Osten,
der rundum glücklich macht und leider viel zu schnell gelesen und
erzählt ist. Herrndorf schafft es mit einer wundervoll einfachen
Sprache, seine Welt ins Schräge zu drehen und so jung erscheinen zu
lassen wie seine Protagonisten. Ein Roman voll Liebe und Freundschaft,
mit Gedanken von Tod und Sterblichkeit - diskret und einfach
formuliert.
Zum Autor:
Wolfgang
Herrndorf, 1965 in Hamburg geboren, hat Malerei studiert und unter
anderem für die «Titanic» gezeichnet. 2002 erschien sein Debütroman «In
Plüschgewittern», 2007 der Erzählband «Diesseits des Van-Allen-Gürtels»
und 2010 der Roman «Tschick», der zum Überraschungserfolg des Jahres
avancierte. Wolfgang Herrndorf wurde u.a. mit dem Deutschen
Erzählerpreis (2008), dem Brentano-Preis (2011), dem Deutschen
Jugendliteraturpreis (2011), dem Hans-Fallada-Preis und dem Leipziger
Buchpreis (2012) ausgezeichnet.
Herrndorf
schreibt regelmäßig im Internetforum „Wir höflichen Paparazzi“ und
beteiligt sich mit Beiträgen am Weblog Riesenmaschine. Nach der
Diagnose eines Hirntumors (Glioblastom) veröffentlicht der
Schriftsteller seit September 2010 ein digitales Tagebuch.
Tschick, Rowohlt Berlin, Hardcover, 256 S., 16,95 €, Erschienen am 17.09.2010, ISBN 978-3-87134-710-8
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