Verfechter der politisch korrekten Sprache haben sich ein
neues Opfer gesucht. Nach der Diskussion um Heinrich Hoffmanns Mohren und Pippi
Langstrumpfs „Negerkönig“-Eliminierung ist nunmehr „Die kleine Hexe“ an der
Reihe.
Nach über 50 Jahren soll Otfried Preußlers Klassiker „Die
kleine Hexe“ umgeschrieben und vom Wort „Negerlein“ befreit werden. Im Oktober
wird der Autor 90 Jahre alt und für seinen runden Geburtstag hat man sich etwas
ganz tolles einfallen lassen: Sein Klassiker „Die kleine Hexe“ soll in einer
Jubiläumsausgabe erscheinen, aber aus Gründen der politischen Korrektheit auch
umgeschrieben werden. Der Thienemann Verlag will das Wort „Neger“ aus Preußlers
Klassiker verbannen.
1957 erschien „Die kleine Hexe“ erstmalig und wurde auch
seitdem unzählige Male in Kinderzimmern vorgelesen. Eine Stelle des Buches sorgt bereits seit
Jahren bei einigen Vorlesern für Kopfzerbrechen: „Aber die beiden Negerlein
waren nicht vom Zirkus…” heißt es da. Eine verniedlichende Variante des
Wortes „Neger“, was zur damaligen Zeit gebräuchlich und keineswegs negativ
belegt war. Vielmehr wandelte sich der Begriff mit der Zeit, erhielt eine
wertende Bedeutung und wurde mit rassistischen Eigenschaften beladen.
Entsprechend empfahl man im Duden seit Mitte der 1970er Jahre den Begriff zu
vermeiden. So wurde dieser auch nach und nach aus dem alltäglichen
Sprachgebrauch verbannt und Mitte der 1990er Jahre verschwanden auch die
„Negerküsse“ aus den Regalen und wurden durch „Schaumküsse“ oder „Schokoküsse“
ersetzt. Für zeitgenössische Produkte sicher vernünftig, aber darf man so einen
Begriff auch einfach aus seinem kulturellen Kontext reißen?
Das Wort „Negerlein“ soll bei der neuen Ausgabe des Buches
nun gestrichen werden. Jawohl! , werden
einige kopfnickend zustimmen, doch graust es viele Kritiker des Vorhabens, die
darin einen Eingriff in die Kunst sehen, den man mit einem ähnlich bösen Wort,
nämlich „Zensur“, beschreiben könnte. Im Grunde sieht man sich nun in einer
Zwickmühle und muss entscheiden was höher zu bewerten ist: Kunst oder Political
Correctness.
Es ist Zensur, wenn wir Texte älterer Autoren umschreiben,
oder Inhalte aus ihnen entfernen, weil sie uns – aus welchen Gründen auch immer
– als anstößig und nicht zeitgemäß erscheinen. Zu den Aufgaben der Zensur
gehörte schon immer nicht nur das Unterdrücken von Texten, sondern auch das
Umschreiben. Die Zensur arbeitet umso besser, je weniger sie nötig hat, Texte
zu unterdrücken, weil sie bereits im Vorfeld dafür sorgt, dass sie gar nicht
geschrieben werden oder dass sie vor ihrer Veröffentlichung umgeschrieben
werden. Sind die Texte aber erschienen, kann die Zensur auch nachträglich
wirksam werden, indem sie für das Umschreiben bei Neuerscheinungen sorgt oder
indem sie für das Umschreiben aller Auflagen sorgt.
Letzteres ist
beispielsweise die Aufgabe des Wahrheitsministeriums, dessen Methoden George
Orwell 1948 in seinem Roman 1984 beschrieben hat. Explizit geht es in Orwells
Roman um Mutability of the Past - die »Veränderbarkeit der Vergangenheit«. Tatsächliche
Macht besitzt nicht jener, der über die Zukunft richtet oder die Gegenwart
beherrscht, sondern jener, der die Vergangenheit zu verändern vermag. Denn
indem er in das kollektive Gedächtnis eingreift und es umschreibt, greift er
auch in die individuelle Erinnerung ein und entzieht ihr die Grundlage. Hier
wird nicht nur die Geschichtsschreibung manipuliert, sondern auch die
Erinnerung der Einzelnen.
Eine Therapie gegen diese totalitäre Macht über die
Vergangenheit hat Ray Bradbury in seinem vier Jahre nach 1984 erschienenen Roman
Fahrenheit 451 beschrieben. Die
Angehörigen des Widerstands gegen eine Gesellschaft lernen Bücher auswendig.
Indem sie Bücher auswendig lernen, setzen sie der Orwellschen »mutability of
the past« mit ihrer persönlichen Erinnerung ein Stück Unveränderlichkeit der
Wahrheit entgegen.
Die heutigen Political-Correctness-Verfechter und
Zensoren, besitzen zwar nicht die totalitäre Macht des Orwellschen Wahrheitsministeriums,
doch indem sie bei Neuauflagen die Klassiker umschreiben und aufgrund unserer
heutigen Ansichten missliebige Ausdrücke (»Neger, Negerlein, Negerkönig«)
entfernen, verhalten sie sich nicht viel anders als diese Instanz.
Irgendwie kann man die heutigen Herausgeber und
Rechteinhaber ja auch verstehen. Sie wollen vermeiden, dass der Mob der selbsternannten
Wächter des Newspeak sie auf die Anklagebank zerrt. Sie wollen verhindern, dass
eine Institution wie die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften ihre
Kinder- und Jugendbücher auf den Index setzt. Aber sind wir wirklich so weit,
dass wir Orwells Gedankenpolizei die Gestalt unserer Literatur und Lektüren
bestimmen lassen? Sind wir bald soweit, dass wir Erstauflagen auswendig lernen
müssen, um dem Zugriff des Newspeak auf die Grundlagen unserer Freiheit zu
entkommen?
In jedem alten Buch tauchen Begriffe auf, die heute
erklärungsbedürftig oder überholt sind. Wer seinem Kind Wilhelm Busch vorliest,
muss beispielsweise das Wort „Fidibus“ erklären. So etwas erhöht manchmal sogar
den Reiz des Vorlesens. Ein Mensch wird nicht zum Rassisten, weil er als Kind
das Wort „Neger“ gehört hat. Im Kern
geht es in dieser Debatte darum, ob in literarischen Werken Wörter, einzelne
Wörter, vorkommen dürfen, die irgendeine Menschengruppe, vielleicht mit/aus
gutem Grund, als beleidigend empfindet.
Doch hierzulande wird die Empörung der Kritiker auf Kurz oder Lang verstummen
und der Verlag einfach die Änderung vornehmen. Und ob dies tatsächlich ein
Beitrag für eine bessere Welt oder
vielleicht doch einen „unerlaubten“ Eingriff in die Kunst darstellt, wird wohl
jeder für sich selbst entscheiden müssen.
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