Dienstag, 29. Oktober 2013

Buch der Woche

Im Stein
Clemens Meyer
 

Clemens Meyers neuer Roman ist ein 560 Seiten Klotz und man möge sich bitte nicht von der Seitenzahl abschrecken lassen und sich auf Grund dessen dagegen entscheiden.  „Im Stein“ ist ein Buch über unser Land, die Stadt Leipzig (auch wenn dies namentlich kein einziges Mal erwähnt wird), über die unsichtbare Gegenwart.
 
Es dreht sich alles um Prostituierte, Luden, Wohnungsvermieter, Kunden, Kinder, Hells Angels und Könige der Nacht. Clemens Meyer schreibt über ein Tabuthema, in der sich viele Menschen bewegen, ohne darüber zu sprechen.
 
Im Zentrum stehen die Frauen, die Prostituierten, die keinesfalls als Opfer dastehen. Sie wägen in inneren Monologen, in Selbstgesprächen das Für und Wider ab, verdammen sie, reden sie schön und stellen die Tätigkeiten in jeder Einzelheit dar.  Doch Vorsicht!  Hier werden keine Männerfantasien bedient oder der Akt an sich gar romantisiert. Hier werden Tatsachen beschrieben.
 
In 22 Kapiteln, wechselt pausenlos die Zeit, Szenerien und Figuren. Zeitlich bewegen wir uns und springen auf einer Zeitschiene die von den Neunzigern in die frühen Nullerjahre reicht. Clemens Meyer beleuchtet die Moral der Sexindustrie, die Aufteilung des Marktes in den neuen Bundeländern und der Stadt Leipzig. Aus dem Osten Europas strömen Sexarbeiterinnen nach Sachsen und Sachsen-Anhalt bis nach Brandenburg, aus dem Westen rücken Bordellbonzen an. Der Aufbau Ost auf die harte Tour.  Und immer wieder driftet das Geschehen auch ins Fantastische, Traum-, Albtraum- und Science-Fiction-Hafte.
 
Eine auch sehr wichtige und immer wiederkehrende Romanfigur ist Arnold Kraushaar, der über ein kleines Imperium von Prostituierten-Apartment herrscht. Er kassiert einige Hunderte dieser Wohnungen in seiner Stadt ab, geht noch mal zur Uni und erleidet einige Blessuren bei verteilungskämpfen im Milieu.
 
Clemen Meyer hat für diesen Roman viel recherchiert, so dass „Im Stein“ letztendlich überzeugend, präzise, umfassend und authentisch herüberkommt. Man glaubt im Zentrum des Geschehens zu sein, wenn Clemens Meyer das Prostitutionsmilieu  abbildet und beschreibt. Die unterschiedlichen Arbeitsplätze (Straße, Club, Wohnwagen, Container, Laufhäuser, Wohnungen), die Gruppierungen und Organisationen, das 2002 verabschiedete Prostitutionsgesetzt – wirkt, als wäre Clemens Meyer in der beschriebenen Welt aufgewachsen. Es ist verrückt und unheimlich, wie gut er sich in dieser Welt auszukennen scheint.
 
Was stimmt denn nun überhaupt in dieser Welt. Das Gewöhnliche ist phantastisch in diesem Roman und das Phantastische gewöhnlich, schmierig und gemein. Es geht um unsere Welt, den unsichtbaren Teil davon.
 
 
Zum Autor:
Clemens Meyer wurde am 1977 in Halle an der Saale geboren und aufgewachsen ist er in Leipzig. 1996 machte er das Abitur. Im Anschluss war er als Bauhelfer, Möbelträger und Wachmann tätig. Von 1998 bis 2003 studierte Clemens Meyer am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Das Studium finanzierte er sich selbst.  2001 erhielt Clemens Meyer für seine Erzählung „Kinderspiele“ den 1. Preis des MDR-Literaturwettbewerbs. In „Kinderspiele“ erzählt Meyer die Geschichte einer zerstörten Kindheit, die von Alkohol, Gewalt und Diebstählen geprägt ist. Die überarbeitete Fassung des Textes bildet das erste Kapitel seines Debütromans „Als wir träumten“, den er als Diplomarbeit am Deutschen Literaturinstitut einreichte.
2006 erschien im Fischer Verlag sein autobiographischer Debütroman „Als wir träumten“, an dem Meyer mehr als sechs Jahre gearbeitet hat. Für seinen im Jahr 2008 erschienenen Kurzgeschichten-Band "Die Nacht, die Lichter" hat Clemens Meyer den Preis der Leipziger Buchmesse für Belletristik bekommen. "Gewalten" spielen eine Rolle im 2010 erschienen Tagebuch von Clemens. Mit seinem 2013 erschienenen Roman "Im Stein" wurde Clemens Meyer für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Im Stein, Clemens Meyer, S. Fischer Verlag, 560 Seiten, 22,99 €, ISBN: 978-3-10-048602-8

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