Mittwoch, 18. September 2013

Buch der Woche

Das grössere Glück
Richard Powers
 
Sind wir unseres Glückes eigener Schmied und können unser Leben selbst vervollkommnen, oder ist doch allein die Biochemie am Werk? Das Streben nach Glück ist das zentrale Element im Leben eines jeden - die amerikanische Unabhängigkeitserklärung fixiert es gar als humanes Grundrecht. Was können wir tun, um diesem Lebensziel ein Stück näher zu kommen? Philosophen, Psychologen und viele andere versuchen sich an Antworten.
 
 
Das Streben nach Glück ist so alt wie die Menschheit. Schon der römische Dichter und Staatsmann Seneca sagte im ersten Jahrhundert: wir alle Streben nach Glück und einem erfüllten Leben. Auch Aristoteles betrieb  Glücksforschung und  in unserer heutigen Zeit tun es vor allem Genomforscher.
 
Anfang des Jahres 2009 sorgten britische Wissenschaftler für Wirbel, als sie aufs Neue das „Glücksgen“ entdeckt haben wollten. Das Glücksgen 5-HTTLPR. Wer eine bestimmte Form des Gens 5-HTTLPR in sich trägt, sollte mehreren Studien zufolge eher dazu neigen, die guten Seiten im Leben zu sehen und unter Stress ausgeglichener zu bleiben – Träger anderer Erbgutvarianten seien dagegen anfälliger für Depressionen. Doch amerikanische Wissenschaftler konnten Ende 2009 in der bisher größten Analyse diesen Zusammenhang nicht bestätigen.
 
Zeitgleich zur damaligen Diskussion, ob es nun ein Glücksgen gibt oder nicht, brachte Richard Powers seinen Roman Das grössere Glück heraus, der uns in allen Glücksgen-Fragen auf den neuesten Stand bringt.
 
Im Zentrum des Romans steht die interessante Frage, warum Menschen, die in einer objektiv schlechten Lage sind, sich trotzdem glücklich fühlen können. Das Zufriedenheitspardox. Dem gegenüber stellt Richard Powers das Unzufriedenheitsdilemma, einem weiteren rätselhaften Zustand, nämlich dem, dass Menschen sich unter objektiv guten Bedingungen dennoch zutiefst elend fühlen können.
 
Die beiden Gemütsverfassungen werden im Buch Das grössere Glück anhand von zwei Charakteren dargestellt. Russel Stone ist ein zur Melancholie neigender Durchschnittsamerikaner, dem sein anfänglicher Erfolg als Schriftsteller suspekt geworden ist, weshalb er sich nun als Internetredakteur und Dozent für Kreatives Schreiben an einer drittklassigen Hochschule in Chicago durchschlägt. Und auf der anderen Seite ist da eine junge Frau aus Algerien, Thassadit Amzwar, die  zu Semesterbeginn in Russels Kurs auftaucht.  Thassadit Amzwar fasziniert Lehrer wie Kommilitonen gleichermaßen. Denn obwohl sie vor ihrer Flucht nach Amerika in Algerien einen grausamen Bürgerkrieg erlebte, bei dem ihre halbe Familie ums Leben kam, darunter ihr Vater, hat die Studentin  ein irritierend heiteres und freundliches Wesen.
 
Ob die Berberin nun tatsächlich von Euphorie erfüllt ist oder sie sich das nur einbildet – und wenn ja, warum –, diese Frage beschäftigen bald nicht mehr nur Lehrer und Freunde, sondern auch Wissenschaftler, Reporter und Blogger, Ärzte, Politiker und dank des Internets irgendwann die ganze Welt.  Ein Forscher mit börsennotiertem Genlabor, der unschwer als Craig Venter zu erkennen ist, diagnostiziert bei Thassadit „Hyperthymie“, ein genetisch bedingtes Glücklichsein, das dauerhafte Lebenslust auslöst.
 
Richard Powers fragt sich bzw. schickt dem Leser die Fragestellungen: Wie viele solcher überschäumenden Gefühle kann man haben? Und wie glücklich darf man überhaupt sein, ohne andere gegen sich aufzubringen? Im Laufe des Romans ändert sich das Blatt der glücklichen Algerierin.  Fernsehen und Internet greifen ihre Geschichte auf und stricken in beispielloser Hysterie eine Medienstory daraus.  Erst als Heilige gepriesen, wird Thassadit Amzwar bald von Bloggern als geldgierig verteufelt.  Am Ende bleibt ihr nur die Flucht.
 
Das größere Glück, Richard Powers, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 432 S., ISBN-13: 978-3100590244

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