Das grössere Glück
Richard Powers
Sind wir unseres Glückes eigener Schmied und können unser Leben selbst
vervollkommnen, oder ist doch allein die Biochemie am Werk? Das Streben nach
Glück ist das zentrale Element im Leben eines jeden - die amerikanische Unabhängigkeitserklärung
fixiert es gar als humanes Grundrecht. Was können wir tun, um diesem Lebensziel
ein Stück näher zu kommen? Philosophen, Psychologen und viele andere versuchen
sich an Antworten.
Das Streben nach Glück ist so alt wie die Menschheit. Schon der
römische Dichter und Staatsmann Seneca sagte im ersten Jahrhundert: wir alle
Streben nach Glück und einem erfüllten Leben. Auch Aristoteles betrieb Glücksforschung und in unserer heutigen Zeit tun es vor allem
Genomforscher.
Anfang des Jahres 2009 sorgten
britische Wissenschaftler für Wirbel, als sie aufs Neue das „Glücksgen“
entdeckt haben wollten. Das Glücksgen 5-HTTLPR. Wer eine bestimmte Form des
Gens 5-HTTLPR in sich trägt, sollte mehreren Studien zufolge eher dazu neigen,
die guten Seiten im Leben zu sehen und unter Stress ausgeglichener zu bleiben –
Träger anderer Erbgutvarianten seien dagegen anfälliger für Depressionen. Doch
amerikanische Wissenschaftler konnten Ende 2009 in der bisher größten Analyse
diesen Zusammenhang nicht bestätigen.
Zeitgleich zur damaligen Diskussion, ob es nun ein Glücksgen gibt oder
nicht, brachte Richard Powers seinen Roman Das
grössere Glück heraus, der uns in allen Glücksgen-Fragen auf den neuesten
Stand bringt.
Im Zentrum des Romans steht die interessante Frage, warum Menschen,
die in einer objektiv schlechten Lage sind, sich trotzdem glücklich fühlen
können. Das Zufriedenheitspardox. Dem gegenüber stellt Richard Powers das
Unzufriedenheitsdilemma, einem weiteren rätselhaften Zustand, nämlich dem, dass
Menschen sich unter objektiv guten Bedingungen dennoch zutiefst elend fühlen
können.
Die beiden Gemütsverfassungen werden im Buch Das grössere Glück anhand von zwei Charakteren dargestellt. Russel
Stone ist ein zur Melancholie neigender Durchschnittsamerikaner, dem sein
anfänglicher Erfolg als Schriftsteller suspekt geworden ist, weshalb er sich
nun als Internetredakteur und Dozent für Kreatives Schreiben an einer
drittklassigen Hochschule in Chicago durchschlägt. Und auf der anderen Seite
ist da eine junge Frau aus Algerien, Thassadit Amzwar, die zu Semesterbeginn in Russels Kurs
auftaucht. Thassadit Amzwar fasziniert
Lehrer wie Kommilitonen gleichermaßen. Denn obwohl sie vor ihrer Flucht nach
Amerika in Algerien einen grausamen Bürgerkrieg erlebte, bei dem ihre halbe
Familie ums Leben kam, darunter ihr Vater, hat die Studentin ein irritierend heiteres und freundliches
Wesen.
Ob die Berberin nun tatsächlich von Euphorie erfüllt ist oder sie sich
das nur einbildet – und wenn ja, warum –, diese Frage beschäftigen bald nicht
mehr nur Lehrer und Freunde, sondern auch Wissenschaftler, Reporter und
Blogger, Ärzte, Politiker und dank des Internets irgendwann die ganze
Welt. Ein Forscher mit börsennotiertem
Genlabor, der unschwer als Craig Venter zu erkennen ist, diagnostiziert bei
Thassadit „Hyperthymie“, ein genetisch bedingtes Glücklichsein, das dauerhafte
Lebenslust auslöst.
Richard Powers fragt sich bzw. schickt dem Leser die Fragestellungen:
Wie viele solcher überschäumenden Gefühle kann man haben? Und wie glücklich
darf man überhaupt sein, ohne andere gegen sich aufzubringen? Im Laufe des
Romans ändert sich das Blatt der glücklichen Algerierin. Fernsehen und Internet greifen ihre
Geschichte auf und stricken in beispielloser Hysterie eine Medienstory daraus. Erst als Heilige gepriesen, wird Thassadit
Amzwar bald von Bloggern als geldgierig verteufelt. Am Ende bleibt ihr nur die Flucht.
Das größere Glück, Richard Powers, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main
2009. 432 S., ISBN-13: 978-3100590244
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen